Osterbotschaft des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios
Osterbotschaft des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios,
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch
allem Volk der Kirche Gnade, Friede und Erbarmen
von Christus, dem in Herrlichkeit auferstandenen Erlöser
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Brüder, im Herrn geliebte Kinder,
Christus ist auferstanden!
Traurig vernahm im 19. Jahrhundert die Menschheit aus dem Mund des tragischen Philosophen: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! … Wir alle sind seine Mörder! … Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ (Friedrich Nietzsche). Und wenige Jahrzehnte später aus dem Mund eines Gleichgesinnten: „Gott ist gestorben! Ich verkündige euch, ihr Herren, den Tod Gottes!“ (Jean Paul Sartre).
Diese Botschaften atheistischer Philosophen haben die Gewissen der Menschen verwirrt. Es folgte eine große Konfusion auf dem Gebiet des Geistes, in der Literatur, der Kunst, und sogar in der Theologie, vor allem der im Westen, begann man, von der sogenannten „Theologie des Todes Gottes“ zu reden.
Die Kirche selbst hat nie daran gezweifelt, dass Gott gestorben ist. Das geschah im Jahre 33 nach Christus auf dem Golgothahügel von Jerusalem zu der Zeit, als Pontius Pilatus römischer Statthalter von Judäa war. Nach unvorstellbaren Qualen wurde der Mensch gewordene Gott wie ein Verbrecher gekreuzigt, rief um die neunte Stunde des Rüsttags „Es ist vollbracht!“ und gab den Geist auf. Das ist eine unbestreitbare historische Gegebenheit. Der einziggeborene Sohn, das Wort Gottes, Jesus Christus, der wahre Gott, ist für alle Menschen gestorben (2 Kor 5,14). Da er alles angenommen hatte, was zum Menschsein gehört, Leib, Seele, Wollen, Handeln, Mühsal, Angst, Schmerz, Trauer, Klage, Freude – alles außer der Sünde – hat er schließlich auch unsere größte Beschwernis, den Tod, auf sich genommen, und diesen in seiner qualvollsten und erniedrigendsten Gestalt: als Tod am Kreuz. Bis hierhin pflichten wir den Philosophen bei. Ja wir können auch noch akzeptieren, dass unsere Gotteshäuser die „Grüfte“, die „Grabmäler“ Gottes sind! Jedoch!… Wir kennen, erleben und verehren den gestorbenen Gott als „jenen Toten, der das Leben selbst in sich birgt“. Nur kurze Zeit nach diesem furchtbaren Freitag, im Morgengrauen des ersten Tags nach dem Sabbat, am Sonntag, dem Tag des Herrn, ereignete sich das, worin sich alles vollendete, was Gott im Fleisch, im Leiden, am Kreuz und in seinem Abstieg zum Hades für uns getan hat: die Auferstehung! Und diese Auferstehung ist ebenso sehr eine unbestreitbare historische Gegebenheit! Und diese Gegebenheit hat unmittelbare und heilsame Konsequenzen für uns alle. Auferstanden ist der Sohn Gottes, der zugleich auch der Sohn des Menschen, der Menschensohn, ist. Auferstanden ist Gott mit allen Attributen des Menschseins: mit dem Leib, den er aus dem allreinen Blut der allheiligen Gottesgebärerin empfangen hat, und mit seiner heiligen Seele. Er ist von den Toten auferstanden „und hat in seiner Menschenliebe Adams ganzes Geschlecht mitauferweckt“! Das Grab Jesu, das neue Grab, ist seitdem und für alle Zeiten leer! Statt eines Grabmals ist es ein Siegesmal, ein Mal des Sieges über den Tod und insofern Quelle des Lebens! Die geistige Sonne der Gerechtigkeit ist „in Schönheit aus dem Grab“ aufgegangen und schenkt uns das abendlose Licht, Frieden, Freude, Jubel, ewiges Leben. Gewiß, die Gotteshäuser sind die „Grüfte“ Gottes! Aber leere Grüfte, erfüllt von Licht, erfüllt vom „Wohlgeruch des Lebens“ (2 Kor 2,16), vom frühlingshaft-österlichem Duft des Öls der Salbung, Grüfte der Schönheit, der Anmut, geschmückt mit Myrten des Lobpreises und Blüten greifbarer Hoffnung, Grüfte, die Leben bergen und Leben spenden! Der Tod Gottes hat die Mächte der Unterwelt bezwungen. Der Tod ist nur noch eine „Episode“, eine Passage, durch die der Mensch vom biologischen zum wahren, ewigen Leben gelangt. Die Kirchen, die „Grüfte“ Gottes, sind die weit geöffneten Pforten der Liebe Gottes, die unverwehrten Zugänge zum Brautgemach seines Sohnes, der „wie ein Bräutigam aus seiner Kammer hervorgegangen“ ist, während wir Gläubige, indem wir eintreten, „die Tötung des Todes, die Vernichtung des Hades, den Anfang des neuen ewigen Lebens feiern und jubelnd den Heiland, unserer Väter einzig gesegneten und überaus verherrlichten Gott“ besingen (Troparion der siebten Ode des Osterkanons).
Es ist also zu unserem Heil, daß Gott gestorben ist, denn sein Tod wurde unser Leben und unsere Auferstehung! Es ist zu unserer Rettung, daß es so viele „Grüfte“ Gottes in der Welt gibt, so viele Gotteshäuser, die der leidende, ermattete und trostbedürftige Mensch unbehindert aufsuchen kann, um da die Last seines Schmerzes, seiner Sorge, seiner Angst und seiner Unsicherheit abzuladen, sich von der Last seines Todes befreien zu lassen. Es ist eine Gnade, daß es Häuser dessen gibt, der für uns gekreuzigt worden, gestorben und auferstanden ist, Häuser des ewig lebenden Christus. Denn es sind diese Häuser, in denen der verzweifelte, von allen Götzen, verratene Mensch unserer Tage Zuflucht, Trost und Erlösung findet; Befreiung von all den irdischen Göttern, die sein Herz in Beschlag genommen haben, der Ökonomie, der Ideologie, der Philosophie, der Metaphysik und allen übrigen „leeren Täuschungen“ (vgl. Kol 2,8) der gegenwärtigen Zeit „voller Trug“ (Akathistos der Gottesgebärerin).
Vom Ökumenischen Patriarchat aus, das die Mutterkirche ist, die Leid, Schmerz, Kreuz und Tod zur Gänze, aber ebenso auch die Auferstehung des Gottmenschen erlebt, richten wir an alle Kinder der Kirche unseren herzlichen österlichen Gruß, erteilen ihnen unseren Segen und küssen sie mit dem Kuss der Liebe Jesu Christi, des von den Toten Auferstandenen, der ewig lebt und den Menschen lebendig macht. Ihm sei die Herrlichkeit, die Macht, die Ehre und die Anbetung samt dem Vater und dem Heiligen Geist in Ewigkeit. Amen.
Ostern 2009
+ Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel
Euer aller inständiger Fürbitter bei Christus, dem Auferstandenen