Osterbotschaft des Metropoliten Augoustinos von Deutschland und Exarchen von Zentraleuropa
Liebe orthodoxe Christen in Deutschland!
Heute ist Ostern: ein Fest voller Licht und Leben! Der Tod ist zertreten und der Teufel ist entmachtet – singen wir wieder und wieder. Und dennoch: Diese freudige Botschaft unserer Kirche erscheint uns zugleich merkwürdig. Denn rings um uns herrschen vielmehr Finsternis und Tod, während die Anlässe zur Freude eher selten sind. In der Tat: Wenn wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben, dann werden wir feststellen, dass die Menschheit den Eindruck vermittelt, ziellos zu sein, und dass wir den Verstand verloren zu haben scheinen. Wie passt unsere Osterfreude mit der tiefen Enttäuschung unserer Zeit zusammen? Und was noch wichtiger ist: Was ist die Wurzel des Übels und wie kann man sie ausreißen?
Viele haben versucht, die Ursachen der Krise mit wissenschaftlichen oder anderen Methoden zu analysieren. Doch nur wenige haben verstanden, dass der Kern des Problems vor allem spiritueller und moralischer Natur ist. Es geht, um es anders zu sagen, nicht in erster Linie um Wirtschaft oder Politik. Hinter all dem verbirgt sich vor allem eines: Der Mensch hat seine Seele, den Sinn seines Lebens, verloren. Was haben wir davon, dass wir die Entfernungen mit den modernen Mitteln der Mobilität verringern können? Dass wir die technologischen Erfolge auf die Spitze treiben und uns weltweit vernetzen können? Vielleicht haben wir uns niemals zuvor so weit voneinander entfernt. Die menschlichen Beziehungen haben sich nicht nur nicht verbessert, sondern lösen sich schon bei der ersten Schwierigkeit auf. Wir scheinen beziehungsunfähig geworden zu sein, und unsere Sprache wird immer mehr zu sprachlosen Schreien.
Wir haben unseren Geist vergessen und kümmern uns vor allem um unser Wohlergehen. Im Grunde haben wir Gott aus unserem Leben verbannt, so dass jetzt das Gesetz des Dschungels unter uns herrscht: Der Stärkere setzt sich durch, und das Böse ist entfesselt. „Ohne Gott ist alles erlaubt“ lautet ein bekanntes Wort von Dostojewski. Wir haben die Kraft unseres Glaubens verloren oder vielmehr uns der Selbsttäuschung hingegeben, wir könnten alles allein schaffen und auf Gott verzichten. Und wir haben nichts anderes davon als Ungerechtigkeit, physische und seelische Gewalt, Einsamkeit und existentielles Versagen.
So sieht leider die Wirklichkeit aus. Aber wir Menschen sind keine Aktien an der Börse; wir sind auch keine Daten im Speicher eines modernen elektronischen Rechners. Wir sind keine Konsumgüter mit Verfallsdatum, die irgendwann einmal wiederverwertet werden sollen. Schon lange gibt es den Versuch einiger, den Glauben aus unseren Herzen zu entfernen und uns zu überzeugen, dass es darum gehe, sich so gut wie möglich einzurichten, und zwar unabhängig von dem, was um uns herum geschieht; Hauptsache es gehe uns gut. Diese gottlose Logik ist es, die den Menschen zerstört, und das heißt auch die Familien, Verwandtschaftsbeziehungen, Freundschaften und ganze Gesellschaften. Diejenigen, die Christus gekreuzigt haben und noch immer kreuzigen, kreuzigen letztlich den Menschen. Oder wie es ein anderer großer russischer Schriftsteller sagen würde: Erst hat man aus den Menschen Teufel gemacht, und jetzt verlangt man von ihnen, wie Engel zu handeln!
Gerade darum ist die von Hoffnung erfüllte Stimme der Kirche unersetzbar. Unentwegt und unermüdlich verkündet sie – überall und immer – die Wahrheit: daß wir alle Personen mit einzigartigen Charismen und mit Verantwortung sind. Denn wir sind nicht zufällig entstanden, sondern von Gott erschaffen. Unser Ende ist nicht das Todesdatum auf unserem Grabstein. Wir weigern uns, uns zu biologischen Wesen degradieren zu lassen, die sich irgendwann wieder in ihre Bestandteile auflösen. Wir leben zwar in der Zeit, aber indem wir sie heiligen, überwinden wir sie auch. Unser Blick sprengt die raumzeitlichen Fesseln und öffnet sich für die Unendlichkeit der göttlichen Liebe.
Die Liebe Gottes, sie ist das wirklich Unfassbare! Kaum vermag unser Geist zu begreifen, dass Gott Mensch wird, dass er an all unseren Nöten Anteil nimmt und sich all unserer Ängste annimmt. Ja, er nimmt auch das Kreuz an, weil er wirklich mit uns leidet. Er ist selbst ohne Sünde und nimmt die Last unserer Sünden auf sich, er verzeiht uns und schenkt uns die Wiedergeburt. Schließlich triumphiert er über den Tod, um uns zu zeigen, dass auch unserem Kreuz stets die Auferstehung folgt. Darum verehren wir, die wir auf den Namen Christi getauft sind, das furchterregende Mysterium seiner gekreuzigten und auferstandenen Liebe, denn wir empfinden, wie schön es ist, ihm nahe zu sein!
Ich wünsche uns allen von ganzem Herzen, dass wir uns stets erneuern im Glauben an den auferstandenen Christus und uns über seine Anwesenheit in unserem Leben freuen. Nur das gibt uns die Sicherheit, dass wir unsere Hoffnung und unsere Menschlichkeit nicht verlieren! Christus ist auferstanden!
Bonn, Ostern 2010
In väterlicher Liebe
Metropolit Augoustinos von Deutschland