Bildung & Wissen

Oberschichtkinder dürfen aufs Gymnasium

Eine Studie belegt: Grund­schüler mit gebilde­ten, wohlhaben­den Eltern bekom­men meist eine Empfehlung fürs Gym­na­si­um. Ärmere Kinder schick­en die Lehrer auf die Hauptschule

In den meis­ten Bun­deslän­dern wer­den schon in der vierten Klasse die Weichen für die höheren Schulen gestellt. Gewin­ner und Ver­lier­er wer­den schnell anhand der Noten aus­gemacht. Sich von diesem Stig­ma wieder zu befreien ist schw­er. Aber wer­den die Noten in der Grund­schule wenig­stens gerecht verteilt? Und wer­den Kinder mit gle­ich guten oder schlecht­en Noten auch gle­ich behandelt?

Schon die Iglu-Stu­di­en haben es gezeigt: Migrantenkinder haben geringe Chan­cen, am Ende ihrer Grund­schulzeit eine Gym­nasialempfehlung zu bekom­men. Doch nun hat eine neue Studie, die von der Johannes Guten­berg-Uni­ver­sität in Mainz erstellt wurde, diese Ergeb­nisse präzisiert.

Der Migra­tionsh­in­ter­grund ist nicht auss­chlaggebend. Kinder wer­den nicht wegen ihrer Nation­al­ität an deutschen Schulen benachteiligt. Zwar wer­den nur die Hälfte von ihnen für das Gym­na­si­um vorgeschla­gen im Gegen­satz zu 66 Prozent der deutschen Kinder. Aber es liegt an der Schichtzuge­hörigkeit und — noch mehr — am Bil­dung­sh­in­ter­grund der Eltern, ob ein Kind weiterkommt.

Denn die Studie hat gezeigt: In der Gruppe der Migrantenkinder leben rund 45 Prozent in Armut, bei den deutschen Grund­schülern sind es nur 17 Prozent. Nahezu 46 Prozent der Kinder mit Migra­tionsh­in­ter­grund haben Eltern, die höch­stens einen Hauptschu­la­b­schluss haben, während es bei denen ohne Migra­tionsh­in­ter­grund nur 23 Prozent sind. „Die schlecht­en Bil­dungschan­cen von Migranten sind also let­ztlich ein Unter­schicht­en­phänomen“, sagt der Leit­er der Studie, der Sozi­ologe Ste­fan Hradil.

Die Forsch­er vom Insti­tut für Sozi­olo­gie haben 103 vierte Klassen an 35 staatlichen Schulen für ihre Studie unter­sucht. 2032 Schüler wur­den inter­viewt. Zwar beschränk­te sich die Studie auf die Stadt Wies­baden, doch wahrschein­lich wür­den die Ergeb­nisse in anderen Regio­nen Deutsch­lands nicht anders ausfallen.

Beglei­t­end wur­den die Eltern gefragt, welchen Bil­dungsweg sie sich für ihre Kinder wün­schen. Eltern aus höheren Schicht­en bewiesen dabei größeren Ehrgeiz: „Die höheren Bil­dungsaspi­ra­tio­nen in der Ober­schicht fan­den wir auch dann, wenn die Kinder in den Ref­eren­zfäch­ern Math­e­matik und Deutsch das gle­iche Noten­niveau zeigten wie Kinder aus der Unter­schicht“, sagt Hradil.

Auch die Noten der Kinder spiegeln ihre Herkun­ft wider. Unter­schicht­enkinder wur­den im Schnitt min­destens eine Note schlechter bew­ertet als Ober­schichtkinder. Betra­chtet man nur die Mäd­chen, sieht es noch schlim­mer aus: 1,4 Noten­punk­te beträgt der Unter­schied. Migrantenkinder schnei­den nur zu 0,2 Prozent — also fast gar nicht — schlechter ab als die anderen Kinder.

Doch selb­st bei gle­ichen Zen­suren wer­den Unter­schicht- und Ober­schichtkinder mit zweier­lei Maß gemessen. Die Sozi­olo­gen haben die Kinder mit ein­er Durch­schnittsnote 2,0 miteinan­der ver­glichen. Jene aus den niedrig­sten Bil­dungs- und Einkom­mensgrup­pen bekom­men nur mit ein­er Wahrschein­lichkeit von 76 Prozent eine Gym­nasialempfehlung, während in der höch­sten Bil­dungs- und Einkom­mensgruppe nahezu alle Kinder aufs Gym­na­si­um wech­seln sollen. Umgekehrt ließ sich auch fest­stellen: Kinder aus der Ober­schicht müssen so gut wie nie befürcht­en, auf die Hauptschule geschickt zu wer­den, selb­st wenn ihre Leis­tun­gen nicht beson­ders gut waren.

Woran liegt es? Wahrschein­lich ist es eine Mis­chung aus unbe­wussten Diskri­m­inierun­gen durch die Klassen­lehrer und den unter­schiedlichen Bil­dungswün­schen der Eltern, nehmen die Autoren der Studie an. Manch­mal meinen es die Lehrer auch gut, weil sie denken, Unter­schichtkinder erhal­ten nicht die notwendi­ge Unter­stützung von zu Hause, um im Gym­na­si­um zurechtzukommen.

Quelle: ZEIT ONLINE 
von Parvin Sadigh