Nachrichten & Meinungen

Sind der Wiege der Demokratie die Vorbilder abhanden gekommen?

Die kri­tis­che Lage in Griechen­land ist ein The­ma an dem, wohl oder übel, kein­er von uns mehr vor­beikommt. Ob es die Spar­poli­tik der Regierung ist, der aktuelle und auch ver­gan­gene Gen­er­al­streiks oder doch der von einem griechis­chen Polizis­ten erschossene 15-Jährige, was aktuell das Fass zum Über­laufen brachte. Die gewalt­täti­gen Auss­chre­itun­gen sor­gen nicht nur für eine poli­tis­che Krise. Sie zeigen auch eines ganz deut­lich: Der Wiege der Demokratie sind die Vor­bilder abhan­den gekom­men — und das schon seit Jahrzehn­ten. Das EU-Mit­glied Griechen­land, unser Heimat­land also, hat ein­fach abgewirtschaftet! Lei­d­tra­gende und  mitwirk­ende zugle­ich sind alle Griechen.

Bei­de großen Parteien sind seit Jahrzehn­ten in Kor­rup­tio­nen ver­wick­elt, finanzieren ihre Pfrün­den­wirtschaft mit zum größ­ten­teil zweck­ent­fremde­ten EU-Mit­teln, während der öffentliche Dienst in diesem Filz ein­fach nur ver­sagt und drin­gende Refor­men, wie die des Renten­sys­tems und die der Bil­dung, immer wieder aufgeschoben wurden.

Der Grieche wies im In und Aus­land zu lange, zu gerne und zu oft auf seine ruhm­re­iche Ver­gan­gen­heit hin, doch ver­säumte er diese bewährten Werte in seine aktuelle Gegen­wart mitzunehmen. Damals näm­lich kon­nte die Demokratie noch auf moralis­che Werte aufge­baut wer­den. In dieser Demokratie, früher in Athen also, fühlte sich jed­er Bürg­er als Poli­tik­er und kon­nte sich in der Volksver­samm­lung oder in unter­ge­ord­neten Bürg­ervere­ini­gun­gen, wie etwa denen der regionalen Demen, für das Gemein­wohl ein­set­zen. Das Ergeb­nis: Son­der­in­ter­essen kon­nten “niemals Gegen­stand der Poli­tik wer­den. Im Mit­telpunkt jed­er poli­tis­chen Entschei­dung stand vielmehr die Bürg­er­schaft als Ganzheit”.

Dage­gen wer­den Poli­tik­er heute lediglich als “Mod­er­a­toren von Kom­pro­mis­sen in einem Wettstre­it der ver­schiede­nen Inter­essen” ver­standen und Bürg­er als bloße Wäh­ler von pro­fes­sionellen Repräsen­tan­ten. Und damit begin­nt das Prob­lem, nicht nur in Griechen­land aber dort eben sehr Auffällig.
Ein­mal gewählt ver­brin­gen Poli­tik­er dann mehr Zeit damit, den “famil­iären Inter­essen” und die sein­er engeren Fre­unde gerecht zu wer­den. Und das auf Kosten der Auf­gaben, wozu man eigentlich von der Bürg­er­schaft gewählt wurde. So steigen ver­di­ente Fre­unde eines hohen Poli­tik­ers eher in eine gesicherte Beamten­lauf­bahn ein, als dafür qual­i­fiziert­ere Men­schen, da bekom­men Ver­wandte führende Posi­tio­nen in der Poli­tik und Indus­trie als studierte und für diese Posten aus­ge­bildete junge Leute. Und dieses Unrecht geschah für jeden ersichtlich und unver­schämt offen. Das war für alle Bürg­er Griechen­lands schon mehr als ein offenes Geheimnis.
Und offen gesagt, mit diesem Ver­fahren arrang­ierten sich auch viele Griechen. Und nach dem Mot­to “Nach mir die Sint­flut” nutzten sie diese Bekan­ntschaften scham­los aus, sofern sie über die nöti­gen Kon­tak­te ver­fügten. Die aktuelle Ereignisse in Athen und andere Städte Griechen­lands und Europas brin­gen dies nun sehr ein­drucksvoll zum Vorschein: von den “Niederun­gen” aus­ge­gan­gen, find­et diese “Flut” nun tat­säch­lich statt. Für jeden sicht­bar erre­icht die “Flut” die bröck­el­nde Mit­telk­lasse und ihren Nach­wuchs bis an die Oberkante ihrer Unter­lip­pen, die sich nun zu wehren beginnen.

Nie­mand wird als Demokrat geboren. Es ist eine wichtige Auf­gabe des Staates — aber auch der Gesellschaft, demokratis­che Werte wie Moral, Tol­er­anz und Zivil­courage bei Kindern und Jugendlichen von der Wurzel an zu stärken. Das hat Griechen­land aber ver­säumt. Und das schlimm­ste: den Griechen über­all auf der Welt fehlt jeglich­es Ver­trauen untere­inan­der, zur Ver­wal­tung und zu der Poli­tik erst Recht, weil Bil­dung seit Jahren von kor­rupten Vor­bildern nicht hon­ori­ert wird. Wie früher in Deutsch­land die Zun­ft der Handw­erk­er ihr Kön­nen vorteil­haft auf die Kinder übertru­gen, färbten schlechte Eigen­schaften der neuzeitlichen griechis­chen Demokratie das Bild der griechis­chen Gesellschaft, bre­it­ete sich wie ein Krebs aus und zer­störte mit seinen Metas­tasen auch so manche noch funk­tion­ierende Insti­tu­tio­nen der griechis­chen Demokratie.

Der Grieche als Indi­vid­u­al­ist ist all­ge­mein erfol­gre­ich. Nicht zulet­zt wegen sein­er intu­itiv­en Spon­taen­ität, auf die er sich fast auschließlich ver­läßt. Ger­ade im Aus­land beset­zen viele unser­er Land­sleute führende Posi­tio­nen, die sie in ihrer Heimat ver­mut­lich nie erre­icht hät­ten. Mit Fleiß und Ver­trauen in eben­falls demokratis­che Sys­teme außer­halb der griechis­chen Gren­zen, haben sie sich den Erfolg ver­di­ent und sich irgend­wo im Aus­land etabliert und niederge­lassen. Sie sehen keine Ver­an­las­sun­gen ihren Sta­tus für die griechis­che Gesellschaft aufzugeben. Das ist Verständlich.

Es muss aber der griechis­chen Gesellschaft im In- und Aus­land gelin­gen, genau solche qual­i­fizierte aber unver­brauchte Kräfte aus allen Rei­hen aufzubauen, um die alten endlich in die Wüste zu schick­en. In keinem anderen demokratis­chen Land bekom­men näm­lich so viele Nachkom­men ehe­ma­liger Poli­tik­er ein hohes poli­tis­ches Amt wie in Griechen­land. Seit Jahrzehn­ten haben also die Fam­i­lien dafür gesorgt, die Macht in den eige­nen Rei­hen zu behal­ten und mit allen Möglichkeit­en nun aus­ges­tat­tet, diese mehr für pri­vate Zwecke zu ver­wen­den. Diesen Fam­i­lien aber allein für die aktuelle Mis­ere schuldig zu sprechen wäre zu ein­fach. Denn um dieses Sys­tem wirkungsvoll einzudäm­men muss auf bei­den Seit­en ange­set­zt wer­den: auf den “Geber” und beim “Nehmer”. Sie waren aber ander­er­seits nie in der Lage, oder waren vielle­icht nie danach bestrebt, als Vor­bilder ein­er Gesellschaft aufzutreten, die drin­gend aber diese und noch eins benötigt: Ver­trauen zu seinen poli­tis­chen Vertreter. Damit im Mit­telpunkt jed­er poli­tis­chen Entschei­dung wieder die Bürg­er­schaft als Ganzheit steht.

Dazu beitra­gen muss jed­er Grieche und jed­er Bürg­er mit griechis­chem Migra­tionsh­in­ter­grund, im In und Aus­land. Jed­er muss sich — wie einst im ruhm­re­ichen Athen — als Poli­tik­er aber auch als Vor­bild ein­er Gesellschaft fühlen und Ver­ant­wor­tung wahrnehmen. Ver­trauen schaf­fen, damit sein eigen­er Nach­wuchs später stolz auf die Wiege der Demokratie und auf seine Vor­bilder sein kann.

Wer übri­gens noch ein Last­minute-Geschenk sucht der kann die Geschichte der Griechen hier find­en und bestellen: Die Griechen

Mit­nutzung der Quellen:
Märkische Oderzeitung, Michael Stahl: Botschaften des Schö­nen, Kul­turgeschichte der Antike

2 Gedanken zu „Sind der Wiege der Demokratie die Vorbilder abhanden gekommen?

  • Panos

    Zu aller erst will ich sagen, dass ich diesen Bericht abso­lut super finde. Der Ver­fass­er hat kein Blatt vor dem Mund genom­men und abso­lut klare, wahre Worte geschrieben. Wirk­lich sehr, sehr gut!!!

    Ich hoffe, dass zukün­ftig mehr “Poli­tis­ches“ von Ellas­net kommt!!!

    Im Grunde genom­men habt Ihr ALLES Erwäh­nenswerte erwäh­nt und per­fekt analysiert. Es gibt insofern nicht viel hinzu zu fügen.

    Mein Kom­men­tar:
    Demon­stri­ert wird viel und heftig in Hel­las, doch nie wird etwas erreicht.
    Alle wis­sen, dass die 2 Fam­i­lien Papan­dreou und Kara­man­lis abwech­sel­nd Regierung und Oppo­si­tion spie­len und zusam­men mit ein paar anderen Fam­i­lien, die heim­lichen Könige Griechen­lands sind. Die Unruhen gehen jet­zt noch ein paar Tage so weit­er, aber es wird sich mal wieder nichts ändern. Bei den näch­sten Wahlen wird die andere große Partei (Fam­i­lie Papan­dreou) gewählt wer­den und das konzept­lose Regieren* (*wenn man das so nen­nen kann) geht weiter.
    Wieso wählen denn die poli­tikver­rück­ten Hel­lenen nicht endlich mal die kleinen Parteien (egal welche!!!) um das miese Sys­tem der 2‑Parteien-Dik­tatur Griechen­lands zu kip­pen? Wieso bekämpfen die Hel­lenen in den 70ern die Jun­ta und lassen sich anschließend, als ob es etwas besseres wäre, von ein­er 2 Parteien-Dik­tatur das elende Spielchen von Regierung und ange­blich­er Oppo­si­tion vorheucheln??? Weil sie genau wie alle anderen Völk­er der west­lichen Welt schon zu sehr verblödet sind!
    Darüber hin­aus ist die Filz-Kul­tur schon viel zu stark auch in der Hel­lenis­chen Gesellschaft infil­tri­ert und wie Ihr schon geschrieben habt, ist die äußerst unpa­tri­o­tis­che „Nach-Mir-Die-Sintflut“-Mentalität der Hel­las-Hel­lenen, auch für uns Dias­po­ra-Hel­lenen immer wieder erschreckend.

    Die poli­tis­chen und gesellschaftlichen Ver­hält­nisse in Hel­las müssen unbe­d­ingt geän­dert wer­den. In sofern ist jed­er Anlass (wie z.B. die jet­zi­gen Unruhen) der das aus­lösen kön­nte immer eine gute Sache, hof­fend, dass am Ende, das ver­rä­ter­ische Hel­lenis­che Polit­pack aller etablierten Parteien endlich in die Hölle geschickt wird.

    Ich finde die Idee des Bericht­es, dass jed­er Hel­lene etwas dazu beitra­gen sollte, die Zustände zu ändern, wirk­lich super. Es liegt jet­zt an uns, dem Hel­lenis­chen Volk. Wir sind es auch den alten Gen­er­a­tio­nen schuldig, die großer Opfer für unser Vater­land und die nachk­om­menden Gen­er­a­tio­nen (also für uns) gebracht haben, nicht ein Schat­ten unser­er selb­st und unser­er Geschichte unwürdig zu sein.
    Hier kön­nte ein weit­eres mal in der Geschichte die Hel­lenis­che Dias­po­ra eine entschei­dende Rolle spie­len. Es gibt viele Hel­lenis­che Ide­al­is­ten, die für sich alleine in den USA, Aus­tralien, Europa u.v.a. Län­dern, ihre eigene Hel­lenis­che Suppe kochen, in der jew­eili­gen Lan­dessprache sim­ple poli­tis­che Web­sites erstellen und auf Foren disku­tieren, aber lei­der hat das alles keine Wirkung. Es ist wirk­lich Schade, dass auch ein so großes Hel­lenis­ches intellek­tuelles Poten­tial weltweit zer­streut brach liegt und nicht genutzt wird. Es müsste sich jemand die Mühe machen, alle rel­e­van­ten ide­al­is­tisch-patri­o­tis­chen Hel­lenis­chen Grup­pierun­gen dieser Welt unter einem Dach zu brin­gen, und das intellek­tuelle Poten­tial motivieren, Konzepte zu entwer­fen, die „endlich die Wende bringen“.

  • Pingback: Makedonien - Panagiotis Raftakis schreibt über den Namensstreit - ellasnet.de

Kommentare sind geschlossen.